Freitag, 28. November 2014

Im Nebel

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unenntrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

[Hermann Hesse]

Dienstag, 4. November 2014

Wenn ich sitze, dann sitze ich …

Eine kleine Geschichte über die Gegenwart:

Ein in der Meditation erfahrener Mann wurde einmal gefragt,
warum er trotz seiner vielen Beschäftigungen immer
so gesammelt sein könne.

Dieser sagte:
„Wenn ich sitze, dann sitze ich,
wenn ich stehe, dann stehe ich,
wenn ich gehe, dann gehe ich,
und wenn ich ankomme, dann komme ich an … “

Da fielen ihm die Fragesteller ins Wort und sagten:
„Das tun wir auch, aber was machst du noch darüber hinaus?“

Er sagte wiederum:
„Wenn ich sitze, dann sitze ich,
wenn ich stehe, dann stehe ich,
wenn ich gehe, dann gehe ich,
und wenn ich ankomme, dann komme ich an … “

Wieder sagten die Leute:
„Das tun wir doch auch!“

Er aber sagte zu ihnen:
„Nein, wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon,
wenn ihr steht, dann geht ihr schon,
wenn ihr geht, dann glaubt ihr euch schon am Ziel … “

(Quelle ist mir unbekannt)
Pdf: http://goo.gl/3cssWY

Freitag, 25. Juli 2014

Geh über die Dörfer

Philosophers path (danke)
















Spiele das Spiel. Gefährde die Arbeit noch mehr.
Sei nicht die Hauptperson. Such die Gegenüberstellung.
Aber sei absichtslos.
Vermeide Hintergedanken. Verschweige nichts.
Sei weich und stark. Sei schlau, lass dich ein und verachte den Sieg.
Beobachte nicht, prüfe nicht, sondern bleib geistesgegenwärtig bereit für ein Zeichen.
Sei erschütterbar.
Zeig deine Augen, wink die anderen ins Tiefe, sorge für den Raum
und betrachte einen jeden in seinem Bild.
Entscheide nur begeistert. Scheitere ruhig.
Vor allem hab Zeit und nimm Umwege. Lass dich ablenken.
Mach sozusagen Urlaub. Überhör keinen Baum und kein Wasser.
Kehr ein, wo du Lust hast, und gönn dir die Sonne.
Vergiss die Angehörigen, bestärke die Unbekannten, bück dich nach Nebensachen,
weich aus in die Menschenleere, pfeife auf das Schicksalsdrama, missachte das Unglück,
zerlach den Konflikt.
Beweg dich in deinen Eigenfarben, bis du im Recht bist und das Rauschen der Blätter süß wird.
Geh über die Dörfer.
Ich komme dir nach.

von Peter Handke

Samstag, 21. Juni 2014

Die Kraft der Seele ...

Die Kraft der Seele ist doch unendlich, sobald sie in guter Gewissheit mit der Kraft verbunden ist, von der sie ursprünglich kommt. Was braucht es alles, damit ein Mensch sich allzeit an seine seelische Heimat erinnert? Was ist nötig, damit er, wenn er es mit seinem Herzen erkannt hat, beim Guten bleibt und die lebendige Erinnerung selbst im größten Getümmel nicht verblasst? Ist es nicht die Erinnerung und Besinnung an das wahre Selbst, das in ihm wohnt?

Man sagt so dahin: „Ich bin doch nur ein Mensch!“, oder „Das ist doch nur menschlich!“ Es fragt sich nur, was damit gemeint ist. Dass der Mensch einfach schwach ist? Ist er das? Ja. Er ist schwach und schutzlos wie kein andres Wesen auf der Welt. Und dennoch so stark, dass er, ich sage jetzt nicht einen Berg versetzen könnte, nein, dass er bestehen kann in jeder Minute seines Lebens. Aber wie ich erfahren habe, liegt dieser Unterschied, die Entscheidung über sein Vermögen nur in ihm selbst. Und es wird nicht über ihn entschieden. Er vermag über sich zu entscheiden. Ein weiser Mann sagte einst zu mir: „Du bist die stärkste Kraft in deinem Körper.“, und das glaube ich auch. Nicht auf solche Art, dass ich meine, der Mensch sei die Kraft an sich, sondern die Kraft kann in ihm und durch ihn wirksam werden, sobald er in sich geht, zu seinem innersten Empfinden, und die Macht erkennt, die ihm gegeben ist. Und diese Macht wurde ihm geschenkt, um frei zu handeln, um das Entscheiden zu lernen; dies wiederum durch die Erfahrung, die aus allem Tun hervorgeht.

Wenn der Mensch frei auf die Erde kommt, ist er noch ganz verbunden mit seiner Heimat. All seine Wünsche verleugnet er nicht, ist nicht zurückhaltend damit. Und wenn er sich etwas wünscht, so will er es auch bekommen. Die Gedanken folgen seinem Willen und der Mensch handelt. Und der Wille bringt oft eine unbändige Kraft mit sich, eine Kraft, die alles im Menschen bewegt und Energien freisetzt.
Erwachsener werden wir und nicht selten be-scheidener mit wünschen und glauben. Und in diesem Wort steckt doch auch „scheiden“! Trennen wir uns dabei nicht von der ursprünglichen Kraft? Ohne diese Kraft wird das Leben jedoch zur Bürde.

Und es kommt dazu, dass der Wille des einstigen Kindes getrübt ist. Lust und Tatendrang werden zur gedrungenen Tat ohne Lust. Warum bloß? Die Kraft muss es sein, die ihm fehlt. Es ist jene Kraft, die Blumen erblühen lässt, jene, die der ganzen Erde ihre Pracht schenkt, deren Überfluss keine Grenzen zu kennen scheint! Diese Kraft, die das Müssen in ein Wollen wandelt. Diese, welche die Lebenskraft selbst ist, die jeden Tag aufs Neue verborgen fließt und sich doch so offen zeigt.

Wenn wir nur wüssten, wenn wir nur fühlten, dass wir dieser schaffenden Kraft so nahe sind – dass wir in uns ein großes verborgenes Flussbett haben, durch das sie so gerne fließen möchte. Nur erlauben müssen wir es ihr und die inneren Wassertore öffnen, indem wir an das Schöne und Gute denken, das in der Welt erblüht.

Dienstag, 10. Juni 2014

Besser reimfrei als sinnfrei ...

„Wenn der Reim den Sinn erschlägt,
ist das Gedicht tot.“
Ich finde es schön, erstmal ohne roten Faden zu dichten anzufangen. Letzterer entsteht meist von selbst im Fluss der Wörter und Verse; ähnlich wie beim freien Klavierspielen. Reim gibt dem Gedicht Struktur, Rhythmus, vielleicht eine Art Musik. Wenn ich aber Gedichte lese, deren Seele dem Reim zum Opfer gefallen ist, da denke ich mir: besser reimfrei als sinnfrei :-)

Samstag, 7. Juni 2014

Die kleine Ranke



Die kleine Ranke
Sieht es nicht,
Doch will sie hin zum Licht,
Zu ihrem hellen Lebenstranke.

Der Weg scheint endlos weit,
Das Licht erscheint ihr ferne –
Dort oben sein würd’ sie so gerne.
Da ist sie schon befreit!

Befreit von Zukunft und Bedenken,
Denn sie sieht den Weg vor sich,
Den schönen, dessen grauer Schleier wich –
Jetzt lässt sie sich vom Augenblick beschenken.
Der wird sie nun nach oben lenken.

Juni 2014

****
Diesmal mit einem Klavierstück:
http://hearthis.at/michael.gasperl/die-kleine-ranke/

[Nachtrag Jan 2015]: Mittlerweile ist eine ganze CD daraus entstanden, die schon auf iTunes erhältlich ist.

Dienstag, 29. April 2014

Nägel im Zaun

Es war einmal ein Junge mit einem schwierigen Charakter. Er war aufbrausend, und ständig stritt er mit anderen, oft um Kleinigkeiten.
Eines Tages gab ihm sein Vater einen Beutel mit Nägeln mit folgendem Auftrag: Jedes Mal, wenn er wütend wird, die Geduld verliert oder streitet, solle er einen Nagel in den Gartenzaun schlagen. Am ersten Tag schlug der Junge 17 Nägel in den Zaun. Doch in den folgenden Wochen wurden die Nägel, die er einschlagen musste, nach und nach weniger. Er war zu der Einsicht gekommen, dass es einfacher war, sich zu beherrschen, als ständig Nägel einzuschlagen.
Schließlich kam der Tag, an dem er keinen einzigen Nagel mehr in den Zaun schlug. Er ging zu seinem Vater und erzählte es ihm.
Der lobte ihn und bat ihn, nun an jedem Tag einen Nagel wieder herauszuziehen, an dem es ihm wieder gelang, sein Temperament zu zügeln.
Viele Tage vergingen, denn es steckten ja viele Nägel im Zaun. Aber dann war es geschafft und der Sohn konnte seinem Vater berichten, dass alle Nägel aus dem Zaun entfernt seien.
Bedächtig ging der Vater mit dem Sohn zum Zaun und sagte zu ihm: „Mein Sohn, du hast dich in den letzten Wochen sehr gut benommen. Aber schau, wie viele Löcher du in dem Zaun hinterlassen hast. Er wird nie mehr der gleiche sein.
Jedes Mal, wenn du Streit mit jemandem hast und ihn beleidigst, bleiben Wunden zurück – wie diese Löcher im Zaun. Und diese Wunden, die du durch Worte verursachst, tun genauso weh wie körperliche Wunden.
Ganz egal, wie oft du dich entschuldigst, die Wunden werden bleiben. Sei also in deinem weiteren Leben sehr achtsam mit deinen Worten, denn nur wenige Menschen sind in der Lage, dir wirklich aus tiefstem Herzen und voller Liebe zu verzeihen, sodass Heilung für euch beide geschehen kann.“
So gingen sie zum Haus zurück und als Erinnerung an die Worte seines Vaters trug der Sohn stets einen kleinen Nagel bei sich, den er in besonders schwierigen Situationen liebevoll mit der Hand umschloss, und so gelang es ihm, mit allen Menschen friedvoll umzugehen.
(unbekannter Autor)

Überarbeitet, Quelle: http://goo.gl/esj9M5